17.10.22

Solidargemeinschaft Grundversorgung Energie bedroht!

Seit der vollständigen Liberalisierung der Energieversorgung in Deutschland vor rund 20 Jahren gehörte es zum guten Ton von Verbraucherschutzorganisationen und Testmagazinen allen Privathaushalten den Wechsel aus der „teuren“ Grundversorgung zu den neuen, „weitaus günstigeren“ Strom- und Gasanbietern zu empfehlen. Hunderte Euro könne man so im Jahr sparen. Wer bei diesen Preisunterschieden nicht handele, sei einfach nicht informiert, selbst schuld oder könne mit Wechselportalen wie Verivox oder Check24 im Internet nichts anfangen. Jetzt in der Energiekrise kann man sich in den Artikeln von „Stiftung Warentest“, „Bild“ oder „Fokus“ ausführlich darüber informieren, wie man wieder zurück in die Grundversorgung wechseln kann. Einen Dank an all jene Kund*innen, die in der Vergangenheit bereit waren, in der Grundversorgung höhere Preise hinzunehmen, damit auch für Krisenzeiten eine Versorgung zu leistbaren Konditionen vorhanden ist, sucht man in all diesen Beiträgen leider vergeblich. „Zu Unrecht“, meint Detlef Fischer, Hauptgeschäftsführer vom Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e. V. – VBEW. „Schließlich subventionieren diese treuen Kund*innen jetzt auch noch die Mehrkosten über höhere Strom- und Gastarife mit, die durch die vielen Rückkehrer in die Grundversorgung entstehen, die sie einst zu Gunsten von „Billiganbietern“ verlassen hatten.“

Bereits seit Ende letzten Jahres sind es weit überwiegend die Grundversorger wie Stadt- und Gemeindewerke, welche die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger mit Strom und Gas zu vergleichsweise bezahlbaren Preisen sicherstellen. Um die einst so gepriesenen neuen Anbieter ist es hingegen weitestgehend still geworden. Wenn sie ihren Vertrieb nicht bereits aufgegeben haben, sind sie jetzt zumeist um einiges teurer als die Grundversorger. Einige haben sogar ihren Kund*innen mit „garantierten“ Billigtarifen unter rechtlich fragwürdigen Umständen vorzeitig die Lieferverträge gekündigt und raten selbst den Wechsel in die Grundversorgung an. Der Hintergrund für diese Entwicklung ist, dass das Geschäftsmodell der vormaligen „Billiganbieter“ quasi eine Wette war. Man kaufte Strom und Gas an den Großhandelsmärkten erst kurz bevor man die Energie an die Kundschaft liefern musste, ein. Eine Praxis, die nur funktioniert, solange die Energiepreise tendenziell sinken. Die Wette wird verloren, wenn, wie seit Ende des letzten Jahres, die Energiepreise in die Höhe schnellen.

Grundversorger und andere seriöse Energievertriebe decken sich hingegen langfristig und in Chargen zu festen Preisen mit Energie ein, um temporäre Preissprünge für ihre Kunden abfedern zu können. Damit kann man in Zeiten niedriger Energiepreise zwar preislich nicht mit den „Discountern“ mithalten, aber man kann, wie sich jetzt zeigt, auch in Krisenzeiten die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger zu vergleichsweise bezahlbaren Preisen mit Strom und Gas sicherstellen. Kund*innen, die trotz der zahlreichen Aufrufe zum Anbieterwechsel in der Vergangenheit ihren Grundversorgern die Treue hielten, haben damit geholfen, dass all jene, die jetzt von ihren Billiganbietern nicht mehr beliefert werden, heute in der Grundversorgung aufgefangen werden können. „Wenn, allen Wechselaufrufen zum Trotz, damals mehr Privathaushalte in seriös kalkulierten Tarifen geblieben wären, könnten für uns alle die Energiepreise jetzt günstiger sein, da sich unsere Grundversorger dann auch mit entsprechend größeren Energiemengen langfristig auf den Großhandelsmärkten eingedeckt hätten“, meint Fischer. Nun ist es leider auch für die Grundversorger unvermeidbar, dass für die große Welle an Neukunden, die, von den Billiganbietern kommend, wieder in die Grundversorgung drängen, Energie zu den aktuell hohen Preisen nachgekauft werden muss.

Nachdem die Bundesregierung nun auch noch spezielle „Neukundentarife“ in der Grundversorgung verboten hat, die von einigen Grundversorgern zum Schutz ihrer treuen Stammkunden eingeführt wurden, steigen jetzt für alle, auch für die Stammkunden der Grundversorger, die Preise deutlich an. Da viele Energielieferverträge von Drittanbietern zum Jahresende auslaufen, wird diese Entwicklung leider voraussichtlich bald noch einen zusätzlichen Schub bekommen. Wahrscheinlich werden dann wieder die Grundversorger – und nicht die ehemaligen „Discounter“ – für ihre Geschäftstätigkeit öffentlich kritisiert werden. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass allenthalben wieder im Namen des „Verbraucherschutzes“ empfohlen wird, schnell aus der Grundversorgung zu dann neuen oder wiederauferstandenen Billiganbietern zu wechseln, sobald sich die Lage an den Energiemärkten wieder stabilisiert. Und das ganze Spiel wird zu Lasten der Grundversorger und ihrer Kunden von Neuem beginnen.

Diesem Missstand muss aus Sicht des VBEW von der Politik zukünftig ein Riegel vorgeschoben werden. Wie die gesetzliche Krankenversicherung ist die Grundversorgung als eine Solidargemeinschaft, aber nicht als Rückfallebene für „Rosinenpickerei“, zu begreifen. Ihre Kund*innen zahlen mehr in guten Zeiten, um für Krisenzeiten gewappnet zu sein. Sie zahlen mehr, da der Grundversorger auch noch denjenigen Privathaushalten ein Angebot macht, bei denen Energie-Discounter wegen negativer Schufa-Einträge nur abgewunken haben oder denen wegen Zahlungsschwierigkeiten gekündigt wurde. Diese Solidargemeinschaft ist zukünftig vor denjenigen Kunden zu schützen, die sie in guten Zeiten aus Kostengründen verlassen, aber sie in schlechten Zeiten wieder in Anspruch nehmen wollen. Genauso wie man aus der privaten Krankenversicherung nur unter hohen Hürden wieder in der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen wird, muss auch der Wiedereintritt in die Grundversorgung zukünftig an deutlich strenge Voraussetzungen geknüpft werden. „Der Gesetzgeber ist daher aufgerufen, die dreimonatige Ersatzversorgung auf alle Neukunden zu erweitern, die aus einem Sondervertrag in einen Grundversorgungsvertrag wechseln möchten“, fordert Detlef Fischer.

 

Weitere Informationen:

Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft e.V. - VBEW
Kommunikation
Wilhelm-Wagenfeld-Straße 4
80807 München

Tel. 089 / 38 01 82-45
Fax 089 / 38 01 82-29
E-Mail: vbew@vbew.de
Internet: http://www.vbew.de